Die Bandscheiben und der Vorfall
Oder: Ist die Knorpelmasse zwischen den Wirbelkörpern tatsächlich als Stossdämpfer gedacht?
Ein Bandscheibenvorfall ist für Betroffene sehr schmerzhaft und lähmend. Auch schon eine Vorstufe davon, eine Vorwölbung, kann bereits sehr weh tun. Ein Bandscheibenvorfall wird durch zu viel Druck ausgelöst. Egal ob sportlich oder nicht-sportlich, dick oder dünn, jung oder alt - es kann jeden treffen, wenn man sich ein falsches Haltungs- und Bewegungsmuster zurecht gelegt hat. Die Kraft im Körperinneren wird ungünstig verteilt und dieser Druck wird zu einer chronischen Belastung, die unsere Wirbelsäule versucht durch einen Bandscheibenvorfall zu kompensieren.
Denn ganz allgemein gilt für Bewegung: Wird der Körper zu wenig, zu viel oder falsch belastet, verliert das Bindegewebe seine Elastizität.

In vielen Anatomiebüchern gelten Bandscheiben als Stoßdämpfer. Die Schwerkraft drückt uns runter, wir werden krumm und unsere Bandscheiben/Knorpelmassen sind dem machtlos ausgeliefert... Die meisten von uns haben schon mal gehört, dass man ab dem 30. Lebensjahr schrumpft. Weiters, saugen sich die Bandscheiben mit Wasser voll und weil sich der Flüssigkeitsgehalt des Körpers im Laufe des Lebens verringert, werden die Bandscheiben dünner.
Aber sind wir tatsächlich alle so machtlos der Schwerkraft ausgeliefert?
Wenn die Bandscheiben als Stossdämpfer fungieren sollen, wird davon ausgegangen, dass Krümmung und Schwere natürlich und normal ist. Das ist allerdings nur dann normal, wenn sich ein Mensch fallen lässt und sich der Schwerkraft bewusst oder unbewusst ausliefert. In diesem Falle braucht es tatsächlich Stossdämpfer. Und diese werden mit der Zeit des Lebens auch noch abgenutzt.
Es geht auch anders... Wenn wir in die Natur schauen, richtet sich jeder Baum und jede Pflanze von unten nach oben auf. Ganz mühelos und freiwillig. Wie Benita Cantieni in ihrer genialen Methode beschreibt, ist das beim Menschen genau gleich möglich. Wir können die Wirbelsäule von unten nach oben aufrichten. Bewusst. Wir können gezielt jeden Wirbelkörper auseinander dehnen, damit die Bandscheiben und die Facettengelenke um die Wirbelkörper herum von Druck befreit werden. Das Gewebe und die Nerven werden aufatmen. Man entwickelt ein Verständnis darüber, dass es nicht nur Schwerkraft sondern auch Leichtkraft gibt. Das eine braucht das andere.
Bei Bandscheibenvorfällen und eine Reha danach, begleite ich Menschen im Einzelunterricht. Denn das Wichtigste ist der Beckenstand und eine einfühlsame Betreuung, da diese Menschen oft schon vieles probiert haben und sich fast nicht mehr getrauen sich ausgelassen zu bewegen. Darum wird anfangs viel im Sitzen oder im Liegen gearbeitet. Das Kreuzbein ist eine zentrale Drehscheibe des Körpers. Die Kreuzdarmbeingelenke (Verbindungsgelenke zwischen Kreuzbein und beiden Beckenhälften) werden aufgespürt und du lernst diese zu öffnen. Ja, du selbst kannst das! Wenn das Becken aufrecht steht, kann jeder Wirbel sich beginnen aufzurichten und nach oben hin entlastet werden. Du kannst dir also mehr helfen als du glaubst, wenn du bereit bist, selbst etwas für sich zu tun und es wagst, dich auf diesen Weg zu machen ;-)
Wachse über dich hinaus!
Die Arbeit mit dem Körper ist unglaublich spannend und setzt einen neugierigen, urteilslosen Geist voraus. Tiefgründige Körperarbeit fördert die körperliche, emotionale und mentale Gesundheit. In einem aufgestellten Körper, kann ein aufgestellter Geist atmen. Die Erfahrung zeigt, dass, wenn man sich mit dem Körper verbindet mehr Sicherheit und Vertrauen verspürt.
Viele Menschen glauben, dass es relativ einfach und natürlich ist, sich mit dem Körper zu verbinden und ihn zu fühlen. Dem ist nicht so. Es erfordert viel Übung. Das Märchen, dass mit zwei, drei Sitzungen oder einem vielversprechenden Workshop alle Beschwerden weg gemacht sind, wird dieser wertvollen Arbeit nicht gerecht. Lass dich auf einen Prozess mit deinem Körper ein! Je früher man damit beginnt, desto besser. Es ist die beste Altersvorsorge, wenn man seinen Körper kennenlernt und sich selbst helfen kann, wenn es zwickt.
Wir erleben es, in eine neue Haltung reinzuwachsen und tiefliegende Halte- und Stützmuskeln zu aktivieren. Wir wachsen sozusagen über uns hinaus!
Es ist alles schon da!
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